K.A.-Redakteur Fabian Beer sucht nach seinen Top Ten des Jahres – und entdeckt stattdessen Glausers Gesammelte Gedichte
Als ich vor einem Monat darüber nachzudenken begann, welche Bücher ich in diesem Jahr in mein AdventsKAlendertürchen schreiben sollte, geriet ich ins Grübeln. Nicht, weil ich 2008 nichts gelesen hätte. Und auch nicht, weil, das was ich las, bloß Schund gewesen wäre – nein, sicher nicht. Aber für eine Top- oder auch Flop Ten-Liste wollte mir keine Auswahl gelingen, die mich zufrieden stellte. Dann aber kam mir der Zufall zu Hilfe, in Gestalt eines Buchs, auf das ich seit einem Jahr wartete und das nun, von mir schon fast wieder vergessen, endlich erschienen ist: Pfützen schreien so laut ihr Licht. Gesammelte Gedichte Friedrich Glausers.
Jenes Buch ist Bändchen mit etwas mehr als 50 Gedichten, entstanden zwischen 1918 und 1938, mit wenigen Ausnahmen nun erstmals gedruckt. Ihr Verfasser, Friedrich Glauser, ist den meisten als Kriminalschriftsteller und Vater des Wachtmeisters Studer bekannt, einigen auch als Fremdenlegionsromancier und manchen als Erzähler novellistischer Kurzprosa. Auf den Lyriker Glauser aber stößt man eher zufällig, und dabei, wie der Glauser-Biograph Gerhard Saner Anfang der 80er Jahre schrieb, nur selten »auf ein wirklich gutes, vollkommenes Gedicht« oder gar ein »›Lebens‹- oder ›Lesebuchgedicht‹« à la Trakl, Benn oder Celan. Ein Beispiel für ein solches seien die »Verse eines deutschen Dichters« in den Schlusssätzen des Roman Matto regiert, die in Glausers Umfeld lange für dessen eigene Schöpfung gehalten wurden:
Man kann mitunter scheußlich einsam sein … […]
Dann nützt es nichts, mit sich nach Haus zu fliehn
Und falls man Schnaps zu Haus hat, Schnaps zu nehmen. […]
Dann nützt es nichts, sich vor sich selbst zu schämen … […]
Tatsächlich zitiert Glauser hier jedoch – und das ließ mich aufmerken – etwas verfremdet Erich Kästners Apropos, Einsamkeit!, vor ziemlich genau 91 Jahren erstmals im Tage-Buch erschienen. Ich studierte die Forschung und erfuhr, dass Glauser Kästners Gedichte – wie übrigens auch dessen Roman Fabian – kannte und offenbar häufig rezitierte. Kästners »Lied der Einsamkeit«, wie Glauser selbst das zitierte Gedicht nannte, kannte er »nicht nur auswendig, er wußte es inwendig« (Saner). »Ganz im Zeichen Kästners« (nochmals Saner) stehen für Saner stehen jedoch nur zwei titellose Gedichte Glausers aus den dreißiger Jahren sind, die dem für Kästners Lyrik typischen Tonfall in der Tat in besonderer Weise verpflichtet sind. Die Mehrzahl der Gedichte, die Friedrich Glauser 1919/20 für eine nie verlegte Gedichtsammlung zusammenstellte, stehen in einer anderen literarischen Tradition. Bernhard Echte, der Glausers Gesammelte Gedichte nun ediert und mit einem ausführlichen kritischen Apparat versehen hat, schreibt in seinem Nachwort:
Er stand ›im Banne des Expressionismus‹, bewunderte Mallarmé und die französischen Symbolisten, las offenbar auch Rilkes Gedichte und sah in Trakl ein großes Vorbild.
Womit sich die Frage aufdrängt, ob Glausers Gedichte sich denn mit denen Mallarmés, Trakls, Rilkes oder auch Kästners messen können. »Natürlich nicht«, lautet Echtes Antwort – und Glauser habe das auch gewusst. Ja, Glauser hatte gegenüber Martha Rignier selbst einmal eingeräumt, dass seine Lyrik »sicher nie [i]hr Beifallen erringen würde« und er sich selbst »auch nicht viel« auf sie einbilde: »Hesse ist da sicher besser.«
Dennoch, so mein persönlicher Eindruck, lohnt die Lektüre der Gedichte Glausers sehr wohl. Zunächst aus literaturwissenschaftlicher Sicht, aus der sich eine vergleichende Analyse mit den genannten Dichtern anbietet wie ein Hinterfragen der von Gerhard Saner formulierten These, der zufolge sich »die Summe von Glausers poetischer Erfahrung« sich weder in einem Gedicht, einer Erzählung oder einem Roman des Schweizers findet, sondern in der Figur seines Wachtmeister Studer – und warum, wie Bernhard Echte fragend konstatiert, der Lyriker Glauser eigentlich bis heute nicht ins Bild des Schriftstellers Glauser passen will, das man sich über die Jahre von ihm gemacht hat. Aber natürlich lohnt eine Lektüre auch für den nicht in wissenschaftlichen Kategorien und Fragestellungen denkenden Literatur- und Lyrikfreund. Denn gerade auch bei unbefangener Betrachtung, die sich schlicht an schönen Formulierungen erfreut, findet man bei Glauser manch Merk-Würdiges (im Goethe’schen Sinne). Wie die folgenden Verse aus einem zu Weihnachten 1925 entstandenen Gedicht – in denen, nebenbei bemerkt, wiederum eine berühmte Forderung Erich Kästners zu lyrischem Ausdruck kommt:
Weihnacht! Im alten Glanze wieder
Seh’ ich den trauten Tannenbaum.
Ich hör’ die alten, lieben Lieder,
– ach nein, es ist kein Kindertraum.Noch strahlt der Friedensstern auf Erden,
wir müssen nur zur Krippe gehen:
Wir müssen wieder Kinder werden,
dann können wir das Kind verstehn!
Friedrich Glauser: Pfützen schreien so laut ihr Licht. Gesammelte Gedichte. Hrsg. v. Bernhard Echte. Wädenswil (CH): Nimbus 2008. Geb.: 118 S. 22,80 Euro. ISBN 978-3-907142-33-2.
Erstveröffentlichung: Kritische Ausgabe+ – Online Magazin der Kritischen Ausgabe, 23. Dezember 2008