2015 steht bei der KA unter dem (Frage-)Zeichen des Glaubens
In vier Tagen ist Weihnachten, ein Hochfest des christlichen Glaubens. Und nicht selten begegnet man in den Medien dieser Tage – wie jedes Jahr – der Frage, ob, was und woran wir heute eigentlich noch glauben. Anders gesagt: Gerade um Weihnachten herum stellt sich uns die berühmte Gretchenfrage aus Goethes Faust. Ebendiese war auch ein Aufhänger des 2015 erschienenen Doppelheftes #28/29 der Kritischen Ausgabe, thematisch, textlich und bildlich.
Vom Titelblatt blicken uns die von Vanessa Weuffel gezeichneten Konterfeis Friedrich Nietzsches, Dietrich Bonhoeffers und Anagarika Govindas entgegen – eines Religionskritikers, eines modernen Märtyrers und eines buddhistischen Ordensgründers. An anderer Stelle im Heft verschmelzen die Gesichter Mahatma Gandhis und Siddhartha Gautamas, Karol Wojtyłas und Tendzin Gyatshos oder Madonnas und Margot Käßmanns und zeigen so Schnittmengen, bei aller Willkür aber auch Symmetrien zwischen verschiedenen Ausprägungen des Glaubens auf.
Reflexionen über das Unsagbare
Im Schwerpunkteil des Heftes versuchen zwölf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (wobei die apostolische Zahl dem Zufall geschuldet ist), sich textlich literatur- und kulturwissenschaftliche Zugänge zum Bereich des Religiösen zu verschaffen, gleichsam »vom Unsagbaren« zu sprechen. Da geht es dann um das jüdische Konzept des Tikkun Olam im zeitgenössischen Denken ebenso wie um postsäkulares Erzählen bei Daniel Kehlmann, kulturelles Erzählen im New Atheism oder auch Religionsdimensionen im Nationalsozialismus. Themen, die parallel auch im Online-Magazin aufgegriffen worden sind, wenn der Faith Under Fire des NS-Widerstandskämpfers Willi Graf oder aber die Bibel als »kein Zeitzeugnis, sondern Zeugnis des Glaubens« in den Blick genommen wurden.
»Wie soll oder wie kann man ›über Religion‹ reden?«, lautete dereinst die Frage Jacques Derridas, die nicht zufällig als Leitfrage zu Anfang des Heftes neben jener von Goethes Gretchen steht. Abschließend beantworten kann sie (natürlich) auch das Doppelheft der KA nicht – und das will es auch nicht. Es ist vielmehr als Einladung zu verstehen, sich die Gretchenfrage selbst einmal zu stellen. Und das keineswegs nur in der (Vor-)Weihnachtszeit.
Erstveröffentlichung: Kritische Ausgabe+ – Online Magazin der Kritischen Ausgabe, 20. Dezember 2017