Bernd Schumachers Krimi-Debüt Februarblut
Was ist nur mit der Kritischen Ausgabe los? Erst widmet die Redaktion ihr aktuelles Heft dem Thema »Verbrechen«, in dem man den Krimi zu einem »herrlich niederen Bedürfnis« erklärt. Dann wird im Rahmen der Lesungsreihe »Kritik der Gegenwart« mit Wolfgang Kaes ein Bonner Thriller-Autor ebenso eingeladen wie Literaten vom Rang eines Helmut Krausser oder John von Düffel. Und jetzt besuchen Redakteure auch noch Krimi-Lesungen und besprechen Bücher dieses Genres. Ist da das Gespür für das, was »Literatur« ist, verloren gegangen?
Tatsächlich muss man sich als Literaturkritiker – noch dazu als literaturwissenschaftlich versierter – in vielen Fällen dafür rechtfertigen, dem Kriminalroman die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die man dem per se als ästhetisch anspruchsvoll geltenden Roman ohne Zögern zubilligt. Die Forderungen allerdings, welche die Ästhetik an den Künstler stelle, meinte Friedrich Dürrenmatt schon Mitte der Fünfzigerjahre, »steigern sich von Tag zu Tag, alles ist nur noch auf das Vollkommene aus, die Perfektion wird von ihm verlangt, die man in die Klassiker hinein interpretiert – ein vermeintlicher Rückschritt, und schon läßt man ihn fallen. So wird ein Klima erzeugt, in welchem sich nur noch Literatur studieren, aber nicht mehr machen läßt.« Was Dürrenmatt zu der Frage führt, wie denn der Künstler in einer »Welt der Bildung, der Alphabeten« bestehen könne? Seine auf den ersten Blick vermutlich erstaunende Antwort: »Vielleicht am besten, indem er Kriminalromane schreibt, Kunst da tut, wo sie niemand vermutet.«
Bernd Schumacher hat sich, so scheint es, Dürrenmatts Worte zu Herzen genommen: Er ist Künstler – als Frontmann und Chef der Rockgruppe »Tiebreakers« macht er seit über 30 Jahren die Bühnen im Voreifelstädtchen Rheinbach unsicher. Und er ist Autor – Februarblut heißt sein gerade erschienenes literarisches Debüt und ist, natürlich, ein Kriminalroman aus dem Rheinbach der Fünfzigerjahre. Vierzehn Tage, so erzählt er, habe er anfangs für zwei Manuskriptseiten gebraucht – 240 Buchseiten sind es nun schlussendlich geworden.
Wie zuvor schon das Rheinbacher Stadttheater war am Dienstag vergangener Woche auch die Buchhandlung John in Meckenheim bis auf den letzten Platz gefüllt, als Schumacher dort sein Buch präsentierte – in einer Lesung mit »handlungsbezogener Musik«. Was es damit auf sich hatte, wurde schnell deutlich, als Schumacher – unterstützt durch seine Bandkollegen Adi Hambach und Arno Schumacher – zur Melodie von Donovans Hurdy Gurdy Man das titelgebende Motto seines Buches intonierte:
Von Severus bes Romanus
küt dr Düvel us dr Höll erus.
Holt sich manch Siel met Für on Schwefel
vom Kotteforsch bes en dr Efel.
Dröm Mensch on Dier sei op dr Hoot,
Februarbloot, Februarbloot![»Von Severus (1. Februar) bis Romanus (28. Februar) / kommt der Teufel aus der Hölle heraus. / Holt sich manche Seele mit Feuer und Schwefel / vom Kottenforst bis in die Eifel. / Drum Mensch und Tier sei auf der Hut / Februarblut, Februarblut!«]
Erklärt sich dieser seit Generationen überlieferte Spruch eigentlich durch die harten, eisig kalten Winterwochen, die die Landbevölkerung traditionell zwischen dem 1. und 28. Februar zu überstehen hatte, wird er in Schumachers Roman zum Inbegriff einer grausamen Mordserie, die das Rheinbach des Jahres 1953 während der Hochzeit des rheinischen Karnevals in Atem hält. Eine Woche vor Rosenmontag beobachtet eine alte Nonne am Eingang zur Bunkeranlage des örtlichen Klosters eine dunkle Gestalt und findet kurz darauf den regelrecht dahin gemetzelten Journalisten einer regionalen Tageszeitung (übrigens derselben, bei der auch der eingangs erwähnte Thriller-Autor als Redaktionsleiter tätig ist). Doch kaum hat sich Walter Seibold, der ermittelnde Kommissar der Bonner Mordkommission, in der ihm als gebürtigem Sachsen völlig fremden Welt auch nur halbwegs akklimatisiert, kommt es zu weiteren Morden, ähnlich grausam und kaltblütig vollführt wie der erste.
Nicht nur seine eigene Heimatstadt und seine Familie – Frau und Tochter kamen während der Dresdner Bombennächte ums Leben – hatten, so stellt Seibold während seiner Ermittlungen immer wieder fest, unter den Wirren des Krieges zu leiden. Auch Rheinbachs Stadtbild und Bevölkerung wurden zwischen Ende Januar und März 1945 schwer durch Luftangriffe gezeichnet – 70 Prozent der Stadt fielen alliierten Bomben zum Opfer, rund 350 Menschen starben in Rheinbach und den umliegenden Ortschaften durch Artilleriefeuer und Bombenhagel.
Hier holte Schumacher zu einem musikalischen Schnellkurs durch die Rheinbacher Stadtgeschichte aus, illustrierte durch Diaprojektionen aus den Beständen des Stadtarchivs seine literarischen Schilderungen der ausgebombten Stadt, die er aus eigenen Kindheitserinnerungen heraus beschrieb. Humoriger wurde es, als er auf die Zeit zu sprechen – nein: zu singen – kam, »Als Rheenbach noch am Wasser laach«: Auch damals litt die Bevölkerung, allerdings in ganz anderer Weise – eine »Mückeplaach« (Mückenplage) führte dazu, dass man die Gewässer kurzer Hand trocken legte und, zur Freude des Stadtsäckels, in Einnahmen versprechende Parkplätze umwandelte.
Doch zurück ins Jahr 1953: Der Morde hauptverdächtig scheint zunächst ein hoch verschuldeter, durch die Erfahrungen des Krieges und russischer Gefangenschaft dem Alkohol verfallener Bauunternehmer. Doch auch nach dessen Verhaftung hat das Morden kein Ende. Wo liegt das Motiv? Sollte jenes authentische Fußballspiel zwischen Schwarz-Weiß Merzbach und einer britischen Militärauswahl Ende 1945 nicht nur der Auslöser für jenen seither bestehenden Zwist des Merzbacher und des Rheinbacher Junggesellenvereins sein, sondern auch für die gegenwärtigen Verbrechen? Und welche Rolle spielt der Korbbinder Schmecke Michelsche, jene legendenhafte Gestalt, durch die sich Seibold an die Darstellungen des Robinson Crusoe aus Kindertagen erinnerte?
Erst eine Tagebuchnotiz des verstorbenen Pfarrers aus den letzten Kriegstagen wirft ein gänzlich anderes Licht auf die Morde des Februar 1953 – und stoßen Seibold nicht nur auf einen unerwarteten, äußerst gefährlichen Ermittlungspfad, sondern auch hinein in die neben den Hexenprozessen des frühen 17. Jahrhunderts dunkelste Zeit der Rheinbacher Geschichte: inmitten der Jahre nationalsozialistischer Herrschaft.
Im Dunkeln hätten jene Jahre auch für ihn lange gelegen, gestand Schumacher bei der Lesung ein. Als er sie für die Romanhandlung habe schildern müssen, habe er dankbar auf jene Studien zurückgegriffen, mit denen sich der Historiker und ehemalige Geschichtslehrer des Städtischen Gymnasiums Rheinbach, Dr. Horst Mies, seit Jahren um eine Aufarbeitung verdient macht. Und an die Rheinbacher Opfer der Judenpogrome gemahnend stimmte Schumacher, bevor er sich mit dem zwölften Lied des Abends musikalisch verabschiedete, dann einen Song eines Freundes aus Schultagen auf eben jenem Gymnasium an: Wolfgang Niedeckens Kristallnach.
Kriminalromane zu schreiben und Kunst da zu tun, wo niemand sie vermutet, empfahl Friedrich Dürrenmatt seinen Autorenkollegen. Literatur müsse beizeiten so leicht werden, schrieb er, dass sie auf der Waage der Literaturkritik nichts mehr wiege: »Nur so wird sie wieder gewichtig«. Kriminalromane zu lesen und Kunst dort zu entdecken, wo sie Literaturkritik und -wissenschaft bislang eher selten vermuten, empfiehlt die Kritische Ausgabe. Auch diesem Genre kommt ein spezifisches Gewicht in der Literatur zu, das eine kritische Inaugenscheinnahme rechtfertigt. – Was aber ergibt diese Inaugenscheinnahme nun in Bezug auf Schumachers Februarblut?
Dass sich der Berufskollegslehrer Bernd Schumacher musikalisch auf das Texten und Komponieren versteht, stellt er seit Jahrzehnten mit seinen »Tiebreakers« unter Beweis. Dass er darüber hinaus auch literarische Texte komponieren kann, zeigt er auf eindrucksvolle Weise mit seinem Romandebüt. Geschickt vermischt er authentisches und rein fiktives Geschehen, Rheinbacher Stadt-, Mentalitäts- und Brauchtumsgeschichte und eine spannend gestaltete Krimi-Handlung. Und auch wenn er sich sprachlich (noch) nicht mit dem eben zitierten Dürrenmatt messen kann – Buchhändler und Lesungsveranstalter Andreas John ist beizupflichten, wenn er sagt, dass sich Schumacher vor Kollegen wie Eifel-Krimi-Autor Jacques Berndorf wahrlich nicht zu verstecken braucht. Man darf gespannt sein auf Bernd Schumachers in Arbeit befindliches zweites Buch, das – soviel verriet er bereits – in den Sechzigerjahren spielen soll.
Bernd Schumacher: Februarblut. Ein Krominalroman aus dem Rheinbach der Fünfzigerjahre. Hillesheim: KBV-Verlag 2007 (= KBV – Historische Krimis; 173). 240 Seiten. ISBN-13: 978-940077-07-3. 9,50 Euro.
Erstveröffentlichung: Kritische Ausgabe+ – Online Magazin der Kritischen Ausgabe, 20. Februar 2007